Bettina Jürgensen, Kiel
Redebeitrag für den Ostermarsch Kiel am 20. April 2019
- Es gilt das gesprochene Wort -
Liebe Friedensfreund*innen, Kriegsgegner*innen, Mitdemonstrierende,
ich freue mich, nach dem Grußwort des DGB-Vorsitzenden aus Kiel, die Ostermarschrede halten zu dürfen und werde im unteren Teil der mir mitgeteilten Zeitvorgabe von „15 bis 20 Minuten“ bleiben.
Kieler Nachrichten vom 13. Februar 2019: "Wenn in der politischen Debatte gefragt werde, ob das Geld nicht besser für Bildung oder gegen Altersarmut eingesetzt werden sollte, „dann muss man auch mal Farbe bekennen für die Bundeswehr“, sagte Günther gestern.“ Diese Meinung hat der Ministerpräsident Schleswig-Holsteins im Februar 2019 auf dem Jahresempfang der Bundeswehr in Kiel vertreten.
Zu den Sprengversuchen auf die ausgemusterte Fregatte „Karlsruhe“ in der Ostsee meinte Daniel Günther: „Wenn die Bundeswehr testen muss, dann dient das der Sicherheit unserer Soldatinnen und Soldaten. Da kann nicht jedes Mal das große Geschrei losbrechen. (…) Da müssen wir auch mal den Rücken gerade machen, dass so etwas stattfinden kann.“
Die Politik der Regierenden dieses Landes war immer für die Rüstungsindustrie und die Bundeswehr in Schleswig-Holstein. Seit Jahrzehnten wird die Ostsee für militärische Übungen benutzt und der Bevölkerung dies als Schutz- und Sicherheitsmaßnahme dargestellt. Das wird fortgesetzt mit dieser schwarz-gelb-grünen Landesregierung.
Wir rechnen nun nicht jeden Morgen die Rüstungsausgaben und fehlenden Mittel für Gesundheit, Soziales, Kultur und Freizeit vor, aber wenn der Ministerpräsident es doch anspricht, soll es auch gesagt werden:
Schon jetzt wird in der BRD dreimal soviel Geld fürs Militär ausgegeben, wie für Bildung. Das NATO- Ziel heißt, dass zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes ins Militär investiert wird, für die Bundeswehr würde dies in den nächsten Jahren 80 Milliarden Euro bedeuten.
Wenn dieses Ziel durchgesetzt wird, gehört Deutschland zu den Ländern mit dem höchsten Rüstungsetat.
Die EU-Staaten liegen schon heute global auf Platz zwei bei den Rüstungsausgaben und überholen Russland und auch China deutlich.
Gleichzeitig sagt man uns, dass kein Geld da ist. Kein Geld für Krankenhäuser, Bildungseinrichtungen, gegen Armut und Altersarmut, für wirklich ernsthafte Schritte gegen den Klimawandel – ein Gruß und Solidarität an dieser Stelle zu der Bewegung Fridays for Future, es gibt kein Geld für die Geflüchteten, die vor den deutschen und europäischen Waffen und Bomben fliehen oder deren Länder durch den Ressourcenraub der hochindustrialisierten kapitalistischen Staaten nicht mehr lebenswert bewohnbar sind.
Doch das ficht die Landesregierung in Schleswig-Holstein und allen voran den Ministerpräsidenten nicht an. Es wird daran gearbeitet, die Ostsee als Manöver- und Aufmarschgebiet zu nutzen und auszubauen. Weder die Kosten, noch der ökologische Raubbau und auch nicht die Angst der Bevölkerungen unserer Nachbarn in den Ostseeanrainerstaaten halten vom Säbelrasseln ab.
Die Waffen und Kriegsmaschinerie wird in den Häfen entlang der Ostseeküste produziert.
Was heute ein Manöver ist, kann morgen bereits der Ernstfall sein.
Krieg beginnt hier!
Wenn der Ministerpräsident Günther „Geschrei“ sagt, meint er den Widerstand von großen Teilen der Bevölkerung gegen dieses Säbelrasseln und die Kriegsübungen auf und in der Ostsee.
Diesen Widerstand geben wir nicht auf!
Wir rufen, nach Meinung des MP „schreien“, laut und deutlich: NEIN -
Wir wollen eure Waffen nicht, wir wollen eure Kriege nicht!
Ich weiß nicht, weshalb mir bei den Aussagen von Daniel Günther, der ja oft den „Netten“ gibt, die Zeilen aus Rosa Luxemburgs Junius-Broschüre von 1916 in Erinnerung gekommen sind: „Das Geschäft gedeiht auf Trümmern. Städte werden Schutthaufen, Dörfer zu Friedhöfen, Länder zu Wüsteneien, Bevölkerungen zu Bettlerhaufen, (…...) und Hungertumulte in Venetien, in Lissabon, in Moskau, in Singapur, und Pest in Russland und Elend und Verzweiflung überall. Geschändet, entehrt, im Blute watend, von Schmerz triefend – so steht die bürgerliche Gesellschaft da, so ist sie. Nicht wenn sie geleckt und sittsam, Kultur, Philosophie und Ethik, Ordnung und Rechtsstaat mimt – als reißende Bestie, als Hexensabbat der Anarchie, als Pesthauch für Kultur und Menschheit, so zeigt sie sich in ihrer wahren, nackten Gestalt.“
Dem vom Ministerpräsidenten Gesagten, versuchte der Kommandeur des Landeskommandos Schleswig-Holstein, Oberst Güttler noch einen draufzusetzen. Er beklagte auf dem Empfang im Februar das „Regelungsdickicht“ und „Verantwortungsmikado“, stellte aber auch fest, dass man „auf dem Weg zurück zur Einsatzbereitschaft“ sei. Für die dadurch entstehenden Belastungen der Bevölkerung hat Güttler folgenden Rat bereit: „Meine Empfehlung: Freuen Sie sich doch einfach mal, wenn Sie einen Düsenjäger am Himmel sehen und hören. Denn darin sitzt ein hochmotivierter, teuer ausgebildeter Spezialist.“
Nein, Herr Güttler, wir freuen uns nicht!
Wir kämpfen dafür, dass aus Schleswig-Holstein keine Kriegsschiffe zu Einsätzen in alle Welt fahren, dass keine Drohnen und Militärflugzeuge aus Jagel die Bevölkerungen anderer Länder bedrohen, wir kämpfen dafür, dass von Schleswig-Holstein kein Krieg, sondern Frieden ausgeht!
Das Motto des diesjährigen Ostermarschs hier heißt: Die Ostsee muss ein Meer des Friedens sein!
Ich finde es gut, dass die alte Losung aus der DDR Ende der 50er Jahre erneut aufgegriffen wurde und die Initiative für den Frieden in der Ostseeregion neu gestartet wurde.
Doch nicht nur in Schleswig-Holstein, nicht nur in Deutschland wird die Gefahr für einen nächsten Krieg geschürt.
In einem Monat findet die Wahl zum Parlament der Europäischen Union statt. Es wird versucht, die EU als Friedensprojekt darzustellen.
Die Europäische Union ist vieles, doch sie ist in ihrer jetzigen Verfassung wirklich kein Friedensprojekt.
Fast 50 Milliarden Euro im nächsten Haushalt für Rüstungsproduktion, -entwicklung und -forschung, für Aufrüstung und Militarisierung sind deutlich. 6,5 Milliarden gibt es für die Infrastruktur hinzu, um noch mehr Panzertransporte Richtung Osten zu ermöglichen.
Sage und schreibe 33 Milliarden Euro sind für Frontex, für die Abschottung gegen Flüchtlinge vorgesehen. Das Geld sollte lieber zur Rettung Geflüchteter aus dem Mittelmeer eingesetzt werden.
Alles zusammen sind fast 100 Milliarden Euro der EU für Abschottung und Krieg.
Dies hat tatsächlich mit Frieden und Friedenspolitik nichts zu tun.
Über diese Finanzen hinaus, wird nun auch das Projekt einer so genannten europäischen Atombombe vorbereitet. Dem Plan nach sollen französische Atombomben mit dem Geld deutscher Steuerzahler modernisiert werden, teilweise unter deutscher Verfügungsgewalt, und ein sogenanntes atomares Schutzschild gegen Russland aufgebaut werden.. Noch sind es nur wahnsinnige Pläne.
Es ist an uns, dafür zu kämpfen, dass der Atomwaffenverbotsvertrag umgesetzt werden kann!
Nein zur atomaren Aufrüstung!
Es gibt Vertragsbrüche und Völkerrechtsbrüche, den Bruch der NATO-Russland-Akte, wiederholte völkerrechtswidrige Angriffskriege, den Bruch des Abkommens mit dem Iran. Jetzt wurde der Vertrag über das Verbot nuklearer Mittelstreckenwaffen (Intermediate Range Nuclear Forces – INF-Vertrag) gekündigt.
In einer Erklärung der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - BdA vom 6.4.19 heißt es dazu:
„Der historische Vertrag wurde leichtfertig zunächst durch die USA und in der Folge auch durch Russland gekündigt. (…...)
Eben weil wir die Geschichte der atomaren Aufrüstung und die irreführenden Ausreden und Lügen der Block-Ideologien nur zu gut kennen, sollten wir den Friedenswillen der Menschen in Europa wieder wecken und mobilisieren, damit Europa endlich ein Kontinent des Friedens wird. Die Folgen eines erneuten atomaren Wettrüstens könnten für uns alle verheerend werden.
122 Mitglieds-Staaten der Vereinten Nationen haben im Juli 2017 ein generelles Atomwaffenverbot beschlossen. Keine Atommacht und kein NATO-Staat hat das Abkommen bisher unterschrieben. Das muss sich ändern!“
Doch wie soll der Frieden durchgesetzt werden, das friedliche Leben in Europa, auf der Welt, wenn die Schuld alter Kriegslasten nicht angenommen wird?
Das diese Bundesregierung nicht gewillt ist Friedenspolitik zu machen, zeigt sich spätestens in dem Umgang mit der Geschichte. Wieder stellt die griechische Regierung die Forderung nach den Reparationszahlungen für die 300.000 ermordeten Griech*innen während der Zeit des deutschen Besetzung durch die Faschisten.
Es ist ein Skandal, dass die deutsche Regierung diese Schuld nicht anerkennt und immer wieder abweist!
Als wären die zwei großen, die Weltkriege, nicht genug gewesen, gab und gibt es auch danach noch Kriege in Europa und die Kriege in anderen Ländern, an denen europäische Länder, darunter auch Deutschland, beteiligt sind.
Ich möchte hier nur zwei nennen:
- am 24. März 1999 war der Tag des Kriegsbeginns der NATO gegen Jugoslawien, die deutsche Regierung von SPD und Grünen zog das erste Mal nach 1945 in einen Krieg gegen einen europäischen Staat.
- Der Krieg im Jemen muss beendet werden! Das Sterben im Jemen ist auch deswegen möglich, weil mit deutschen Waffen bombardiert und geschossen wird. Deutsche Schiffe tragen dazu bei, dass die Hungerblockade aufrechterhalten werden kann. Die Versorgung des Jemen ist fast völlig Importabhängig. Deshalb bedeutet die UN-Resolution 2216 die Legitimierung einer totalen Versorgungsblockade. Es werden öffentlich Krokodilstränen geweint von den Regierenden. Die Bundesregierung jedoch könnte mit einfachen Gesetzesänderungen den Transport von Waffen verbieten. Sie könnte dafür sorgen, dass der Export von Rüstungs-Know-How, sogar der Export von ganzen Fabriken in Krisengebiete unter Strafe gestellt wird – aber sie wollen es nicht. Sie wollen diese Exporte, damit im Zuge dessen die Waffenproduktion für EU und NATO rentabler wird.
Wie lukrativ Waffenhandel ist, erklärte Frank Haun, Geschäftsführer von Krauss-Maffei Wegmann GmbH & Co. KG, im Handelsblatt am 26.4.18: "Wir hatten letztes Jahr den stärksten Umsatz in unserer Firmengeschichte, und wir werden mittelfristig weiterwachsen"
Doch für geschichtliche Vorgänge und die Verantwortung daraus, scheint leider nicht nur die Regierung blind zu sein. Ein Beispiel liefert der DGB.
Die Gewerkschaften werden wieder politischer. Das begrüße ich sehr!
Zu den Betriebsratswahlen im letzten Jahr gab es viele gute Anregungen und Hilfen für die Kolleg*innen in den Betrieben, zur Argumentation und Umgang gegen Kandidat*innen rechter Gewerkschaften. Die Gewerkschaften nehmen teil und rufen auf zu Friedensaktionen und zu den Ostermärschen.
Die Gewerkschaften fordern mit eigenen Materialien zur Teilnahme und Stimmabgabe bei Wahlen auf. Jetzt auch zur EU-Wahl.
Man kann über die Materialien dazu, wie auch die Broschüre des DGB zur EU-Wahl unterschiedlicher Meinung sein, kann darüber diskutieren.
Doch eines möchte nicht hinnehmen. In der Broschüre des DGB heißt es: "Seit mehr als 70 Jahren herrscht Frieden in großen Teilen Europas, länger als je zuvor.“
Spätestens der 20. Jahrestag des Kriegsbeginns gegen Jugoslawien, wie oben erwähnt, beweist, dass die Aussage zu 70 Jahre Frieden in Europa nicht stimmt!
Wer jedoch Kriege verschweigt, macht sie nicht ungeschehen.
Ich könnte jedoch zustimmen, würde dort stehen: Gewerkschafter*innen kämpfen seit über 70 Jahren für den Frieden! Ich selbst habe viele kennengelernt, die sich für den Frieden eingesetzt haben, dies auch immer in ihrer Gewerkschaftsarbeit mit anderen Kolleg*innen geteilt haben.
Deshalb lasst mich zum Schluss aus einer Rede von Leonhard Mahlein, ehem. Vorsitzender der IG-Medien, gehalten am 16.11.85 in der Stuttgarter Friedensaktions- und Informationswoche, zitieren:
„Wer als Gewerkschafter den Sozialabbau bekämpft und für ein wirksames Beschäftigungsprogramm eintritt, muss redlicherweise auch gegen atomare und konventionelle Hochrüstung kämpfen. Gewerkschaften und Friedensbewegung gehören folglich zusammen. Uns alle vereint das Wissen, dass wir unsere gemeinsame Sache in die Hand nehmen müssen, dass wir zusammen die großen Probleme der Zeit meistern müssen, und dass dies bei dem vordringlichsten Problem unserer Tage, bei der Erhaltung des Friedens, beginnt.“
„Ich appelliere deshalb an die Anhänger der Friedensbewegung, nicht etwa in Resignation zu verfallen und nicht die Orientierung zu verlieren, sondern weiterhin solidarisch zu handeln.“
Friedenskampf und Antifaschismus gehören zusammen, deshalb noch die Information:
Heute, am 20. April findet in Sofia – Bulgarien ein europaweites Nazitreffen statt. Die Faschisten wollen anscheinend ihre Treffen an dem Geburtstag von Adolf Hitler, mit dieser jährlichen Wiederkehr, zu einer „Normalität“ werden lassen.
Dem erstarken der Rechten in Europa, jeder Aktion von Nazis muss überall unsere Solidarität gegen Faschismus und Rassismus entgegengesetzt werden. Auch dies ist Teil von Friedensarbeit! Denn rechte, rassistische und faschistische Politik kann keinen Frieden bringen – sie bringt Ausgrenzung, sie bringt Krieg.
Wir sagen:
Nie wieder Faschismus – Nie wieder Krieg!
Bettina Jürgensen ist Gewerkschaftssekretärin bei der Gewerkschaft verdi in Kiel.