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Norman Paech Rede Hiroshima-Tag Kiel

Wegen eines Unwetters über Kiel konnte am Freitag, 6. August 2021 die traditionelle Hiroshima-Gedenkfeier nicht stattfinden. Norman Paech hat uns sein Redemanuskript zur Verfügung gestellt:

Atompolitik Gefahr des Krieges

Covid-Pandemie, Klimakatastrophen und Bundestagswahlen haben eine Gefahr in den Hintergrund gedrängt, die wir alljährlich wieder aus dem Vergessen holen müssen: die Gefahr eines Atomkrieges. Ich bin kein Apokalyptiker, aber die Zeichen für einen Atomkrieg, gewollt oder ungewollt, sind in den letzten Jahren wieder drohender geworden.

Ein Zeichen, welches mir wirklich Angst gemacht hat, fand nicht den Weg in die Medien. Im Januar 2018 hielt der Generalstabschef der britischen Armee, General Sir Nicholas Carter, vor dem „Royal United Service Institute“ einen Vortrag mit dem Thema „Dynamic Security Threats and the British Army“. Seine Thesen: Russland sei „der archetypische Vertreter einer Bedrohung für Großbritannien“ und daraus folge die Notwendigkeit, sich auf die Bedrohung vorzubereiten, „den Krieg zu führen, den wir vielleicht führen müssen“. Seine Worte zeichnen mit ungeschminkter Deutlichkeit ein erschreckendes Feindbild: „Ich will keinesfalls unterstellen, dass Russland in der traditionellen Definition des Begriffs in den Krieg ziehen will, aber ... man muss die russische Psyche, ihre Kultur und ihre Philosophie der Prävention verstehen. Ich denke, Russland könnte die Feindseligkeiten früher einleiten, als wir erwarten, und viel früher, als wir es unter ähnlichen Umständen tun würden...  Die Parallelen zu 1914 sind überdeutlich. Unsere Generation hat sich seit dem Ende des Kalten Krieges daran gewöhnt, Kriege nicht wirklich führen zu müssen – aber wir haben vielleicht keine Wahl hinsichtlich eines Konflikts mit Russland. Und wir sollten uns an Trotzkis Worte erinnern: ‚Du bist vielleicht nicht an Krieg interessiert, aber der Krieg ist an Dir interessiert‘.“ Die ganze Rede liest sich wie eine Aufforderung zur Mobilmachung gegen die Russen: Ich glaube, es (Russland) stellt die komplexeste und fähigste staatliche Bedrohung für unser Land seit dem Ende des Kalten Krieges dar. Und meine Stabschefkollegen aus den USA, Frankreich und Deutschland teilten diese Ansicht.“ (1).

Inzwischen hat sich der Focus der Konfrontation von Russland nach China verschoben, was die Gefahr nicht verringert hat. Da ist vor allem die Taiwan-Frage, bei der das Organ der Kommunistischen Partei Chinas, die Zeitung „Global Times“, die Gefahr militärischer Auseinandersetzungen sieht. Die chinesische Gesellschaft müsse daher den Mut haben, sich auf einen Krieg einzulassen, der darauf abziele, die zu schützen, und bereit sein, die Kosten zu tragen. …China müsse ein Land sein, das sich auf einen Kampf einlässt.

Ein Atomwaffenverbotsvertrag ohne Atommächte.

 Ein halbes Jahr vor der Carter-Rede waren in New York die Vertreter von 122 Staaten zusammengekommen, um einen Vertrag über das vollständige Verbot von Atomwaffen abzuschließen. Er sollte die Lücke schließen, die die Richter des IGH noch in ihrem Gutachten vom 8. Juli 1996 gelassen hatten, als sie über die Legalität der Atomwaffen zu urteilen hatten. Ihre grundsätzliche Ablehnung der Atomwaffen war klar: „Die Androhung und der Einsatz von Atomwaffen verstoßen generell gegen die Prinzipien und Regeln des humanitären Völkerrechts“. Sie sahen drei wesentliche Prinzipien des Völkerrechts verletzt: 

  • Die mangelnde Unterscheidung zwischen Zivilisten und Kombattanten,
  • die Zufügung unverhältnismäßiger Leiden und unnötiger Grausamkeiten und
  • die Verletzung der territorialen Souveränität unbeteiligter und neutraler Staaten.

Nur im Falle einer unmittelbaren Gefährdung der Existenz eines Staates meinten die Richter, „nicht genügend Grundlagen zu haben, die sie in die Lage versetzen, mit Sicherheit zu entscheiden, dass die Anwendung von Atomwaffen unter allen Umständen im Widerspruch steht zu Regeln des für den bewaffneten Konflikt verbindlichen Rechts“ (2).

Dieses Schlupfloch nutzten die Atommächte, ihr Arsenal und ihre Strategien auch weiterhin als rechtlich legitimiert zu betrachten und über die Abrüstungsverpflichtung, die die Richter zum Ausgleich in das Gutachten geschrieben hatten, hinwegzusehen.

Im Juli 2017 haben dann 80  Staaten in New York für den Atomwaffenverbotsvertrag gestimmt. Die entscheidenden Atommächte sind bis heute abwesend. Sie befanden sich bis auf China in Hamburg bei dem G20-Gipfel. Jetzt haben schon 54 Staaten den Vertrag ratifiziert, und er ist am 22. Januar dieses Jahres in Kraft getreten. 

Würde die Bundesrepublik den Vertrag ratifizieren, würde das allerdings für die Bundesrepublik erhebliche Konsequenzen nach sich ziehen. So müsste die Bundesregierung den Abzug aller in der Bunderepublik stationierten Atomwaffen von den USA fordern und alle Stationierungsabkommen kündigen, die sich auf Atomwaffen beziehen. Sie müsste alle Übungen der Bundeswehr mit Atomwaffen einstellen und darüber hinaus der Regierung der USA den Transport und die Lagerung von Atomwaffen über und auf deutsches Territorium untersagen. Das würde darüber hinaus auch die Beendigung der atomaren Teilhabe in der NATO bedeuten, und die Bundesregierung müsste ihre Mitarbeit in der nuklearen Planungsgruppe der NATO beenden. Allen verborgenen aber immer noch latenten Wünschen nach einer eigenen Atommacht wäre damit jede Aussicht auf Erfüllung entzogen.

Doch alle Freude darüber, dass der Vertrag nun in Kraft getreten und für 54 Staaten auch verbindlich ist, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch dann die Atommächte nur verpflichtet werden, wenn sie selbst unterschreiben und ratifizieren – aktuell und bis auf weiteres nur ein Wunschtraum. Diese Skepsis beruht nicht einmal auf dem kurzen aber schmerzhaften Regierungs-Intermezzo von Donald Trump. Auch mit Obama oder seinem damaligen Vize und heutigen Präsidenten Biden standen und stehen die Chancen für einen vollständigen Verzicht auf Atomwaffen nicht besser. 

Biden hat in diesem Jahr nur eine Interim National Security Strategic Guidance vorgelegt, in der er seine zentrale strategische Position bestimmt: die USA müssen ihren dauerhaften militärischen Vorsprung erneuern, so dass sie den täglichen Herausforderungen von einer Position der Stärke begegnen können. Biden ist noch nicht wieder in das Iran-Abkommen zurückgekehrt und hat keine der von Trump verfügten Sanktionen gelockert. 

Er hat auch nicht der Erweiterung der US-amerikanischen Nuklearoptionen um kleine, taktische, substrategische Atomwaffen durch Trump widersprochen. Diese „Mininukes“ haben eine vergleichbare Sprengkraft wie die über Hiroshima und Nagasaki abgeworfenen Bomben, 15 bis 20 Kilotonnen. Die US-Streitkräfte verfügen zwar derzeit über etwa 1.000 taktische Nuklearsprengköpfe, von denen ein Teil seit 2002 in Europa stationiert ist, sie sollen aber um seegestützte Langstreckenraketen und Marschflugkörper mit substrategischen atomaren Sprengköpfen ergänzt werden. 

Darin liegt allerdings die größte Gefahr nicht nur für die schwächeren Staaten. Aus jedem Einsatz atomarer Waffen kann sich unkalkulierbar und unkontrollierbar ein atomarer Schlagabtausch mit unvorstellbaren Dimensionen entwickeln.

Atomwaffen – ein deutscher Traum? 

Die neue US-amerikanische Nuklearstrategie hat offensichtlich auch die deutsche Debatte über die atomare Bewaffnung wiederbelebt. So plädiert der CDU-Abgeordnete Roderich Kiesewetter für die Entwicklung eines europäischen Nuklearschildes, bei dem er über die Beteiligung an der Finanzierung zweifellos eine Beteiligung auch an der Verwendung und dem Einsatz der Waffe im Auge hat. Das ist keine Einzelmeinung. Es gibt immer wieder Stimmen, die sich auch öffentlich für eine Atommacht Deutschland aussprechen. Dies mag derzeit eine allenfalls provokative Träumerei sein. Denn die atomare Bewaffnung Deutschlands bedeutet einen klaren Verstoß gegen den Zwei-Plus-Vier-Vertrag und würde den Austritt aus dem Atomwaffensperrvertrag voraussetzen. Den hatte zuletzt Nordkorea 2003 verlassen. 

Eine Finanzierung und Teilhabe an einer europäischen Atomwaffe halten die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages allerdings für rechtlich unbedenklich (3). Aber bei genauer Betrachtung unterläuft eine Mitbestimmung über den Einsatz einer europäischen Atombombe zumindest den Zwei-Plus-Vier-Vertrag, der in Artikel 3 bestimmt: „Die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik bekräftigen ihren Verzicht auf Herstellung und Besitz von und auf Verfügungsgewalt über atomare, biologische und chemische Waffen. Sie erklären, dass sich auch das vereinte Deutschland an diese Verpflichtungen halten wird. Insbesondere gelten die Verpflichtungen aus dem Vertrag über die Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen vom 1. Juli 1968 für das vereinte Deutschland fort.“ Ich halte die Nukleare Teilhabe an den US-amerikanischen Atombomben, wie sie derzeit von Deutschland praktiziert wird, für eindeutig verfassungswidrig (5). Sollte der Bundestag der Option der Bundesregierung zustimmen, als Ersatz für die veralteten Tornado-Kampfflugzeuge US-amerikanische F-18 Jäger als Träger der in Deutschland stationierten Atombomben zu kaufen, wäre damit für die nächsten 20 Jahre die Nukleare Teilhabe automatisch beschlossene Sache. Aus einer solchen Situation kommt man nur sehr schlecht wieder heraus.

Das Ende der Atombombe wird kommen, da bin ich optimistisch – es fragt sich nur, ob vor oder nach dem Ende dieser Zivilisation. Die Erde wird auch einige Atomexplosionen überleben, aber kaum wird das die Zivilisation können, die mit der Bombe spielt. Die Dinosaurier wurden Opfer eines Kometen, die atlantisch eurasische Zivilisation vielleicht Opfer ihrer Zerstörungswut. Aber irgendwo werden Menschen überleben, doch unter welchen Bedingungen.

Was können wir tun? So wichtig es ist, die Bundesregierung zur Aufgabe der Nuklearen Teilhabe und zur Unterschrift unter den Atomwaffenverbotsvertrag zu bewegen, sollten wir uns nicht in der Illusion wiegen, dass dies ohne eine nachhaltige Veränderung der politischen Kräfteverhältnisse möglich sei. Ein erster Schritt auf dem Weg raus aus den Atomwaffen wäre jedoch die Selbstverpflichtung der Atomwaffenstaaten, auf den Ersteinsatz in militärischen Auseinandersetzungen zu verzichten. Wenn kein Staat Atomwaffen als erster einsetzt, gäbe es überhaupt keinen Einsatz dieser Waffen mehr. Das wäre eine bedeutende Entscheidung für die Sicherheit in der Welt. Bisher hat nur China offiziell sich zu einem solchen Verzicht bekannt. Vor der UNO-Vollversammlung im Jahr 1972 erklärte der Vertreter der Volksrepublik, „dass China zu keinem Zeitpunkt und unter keinen Umständen als erstes Land Atomwaffen einsetzen wird.“ (6). Am 15. April 2021 haben die demokratische Senatorin Elisabeth Warren und der Abgeordnete des Repräsentantenhauses Adam Smith im Kongress einen No-First-Use-Gesetzentwurf eingebracht: „Es ist die Politik der Vereinigten Staaten, nicht zuerst Atomwaffen einzusetzen.“ (7) Fände dieser Entwurf die Mehrheit im Kongress, wären wir dem Verbot der Waffen ganz nahe. Und wäre es nicht ein sinnvoller Beitrag von uns, die Bundesregierung aufzufordern, diesen Gesetzentwurf im US-Kongress öffentlich zu unterstützen?

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